Im kommenden Jahr werden in Peru Regionalregierungen und Bürgermeister neu gewählt. In Peru ist die Parteienlandschaft extrem fragmentiert und personalisiert und die Basis der meisten Parteien nicht besonders fest verankert. Daher treibt der Wahlkampf auf lokaler Ebene oft seltsame Blüten. INFOAMAZONAS möchte ein paar wahre Geschichten der vergangenen und der kommenden Wahl vorstellen. Es sei darauf hingewiesen, dass es durchaus Parteien gibt, die über teilweise funktionsfähige Strukturen verfügen und eine verhältnismäßig breite Basis haben. Die Regel sind sie aber nicht.
Kapitel 1: Wie der Kandidat seine Partei findet – und umgekehrt
Eine Provinz im Norden Perus. Gegen Ende des Jahres soll ein neuer Bürgermeister gewählt werden. Die Wahl möchte eine bestimmte Partei gerne gewinnen, denn mit ihrem Kandidaten im Bürgermeisteramt – oder zumindest mehreren Kandidaten im „Consejo Provincial“, einer Art abgespecktem Kreisrat, sind nicht nur einige Parteikollegen für einige Jahre in Lohn und Brot gebracht, man kann auch wichtiges mitbestimmen. Unter „wichtiges“ fallen in vielen Fällen notwendige Maßnahmen für die entsprechende Provinz. In anderen Fällen fallen darunter aber auch Dinge wie die Asphaltierung einer Straße, die zufällig am Haus eines Kandidaten vorbeiführt. Oder ein gut bezahlter Arbeitsplatz für einen gute Bekannte.
Am günstigsten wäre es da natürlich, wenn der lokale Parteiführer als Spitzenkandidat antreten würde. Eigentlich. Das Problem dabei ist, dass allein der Begriff „Politik“ in Peru eher als Schimpfwort verstanden wird und nicht, wie es beispielsweise der Politikwissenschaftler Rüdiger Robert definiert, als System, das Entscheidungen trifft, die für die Gesellschaft als Ganze von existenzieller Bedeutung sind. So suchen Parteien dann lieber eine Person, die bislang mit Politik nichts am Hut hatte und sich auf einem anderen Gebiet einen Namen gemacht hat.
Es geht aber auch umgekehrt. Ebenfalls in Nordperu, diesmal in einem Distrikt, es geht um die Wahl des Bürgermeisters, auf Gemeindeebene. Ein engagierter Mensch möchte mit einem Grüppchen Vertrauter das Rathaus erobern. Wir unterstellen ihm zunächstmal noble Interessen: Bekämpfung der Korruption, Ausbau der Infrastruktur und dann noch der ganz allgemeine Wunsch „etwas für die Bevölkerung zu tun“.
Es besteht für den engagierte Menschen und seine Freunde nun die Möglichkeit der Gründung einer Partei oder eines eigenen Wahlbündnisses. Das aber ist sehr kompliziert, langwierig und kostet auch einiges Geld. Die Sammlung einer Anzahl von Unterschriften ist dabei nur der erste Schritt. Eine günstige und vergleichsweise unkomplizierte Alternative ist da, sich eine Partei zu suchen, die im Distrikt bisher noch nicht existierte. Diese freut sich darüber, „ihre Basis zu verbreitern“, bietet einen mal mehr und mal weniger bekannten Namen und unterstützt vielleicht sogar noch den Wahlkampf mit Material und Unterstützungsbesuchen populärer Parteimitglieder.
Ganz in der Nähe, ein kleiner Distrikt mit mehreren noch kleineren Teilorten. Ein Abgesandter der Regionalregierung geht von Haus zu Haus und fragt nach den angesehensten Personen des Distriktes. Der Vorsitzende der Bauernvereinigung wird häufig genannt. Auch der örtliche Friedensrichter taucht immer wieder auf. Der amtierende Bürgermeister wird von seinen Familienmitgliedern und Günstlingen mehrfach genannt. Am Ende liegt eine Person weit vor den anderen. der Abgesandte der Regionalregierung stattet ihm einen Besuch ab und bittet ihn oder sie, für die Partei des Regionalpräsidenten als Bürgermeister zu kandidieren. Geld sei kein Problem, man übernehme zudem einen Teil der Kosten des Wahlkampfes.
2. Wie der Kandidat / die Kandidatin zu seinen / ihren Stimmen kommt.
In Peru herrscht Wahlpflicht, wer nicht an der Wahl teilnimmt, muss eine Geldstrafe bezahlen, überprüft wird das über einen Aufkleber auf dem Personalausweis. Wer nicht bezahlt, kann ist bis zur Bezahlung von bestimmten Behördenleistungen ausgeschlossen.
Natürlich gibt es auch hier auf lokaler Ebene einen Wahlkampf, in dem alle Parteien versuchen, ihre Ideen bekannter zu machen. Radiospots werden geschaltet, Wände werden mit Namen, Farben und Nummern der Kandidaten und Parteien bemalt. So mancher Hausbesitzer freut sich, auf Kosten einer Partei, der er möglicherweise nicht sehr nahe steht, seine Wand gestrichen zu bekommen. Ganze Berghänge werden mit überdimensionalen Parteilogos überzogen – aus Farbe, aber auch aus angeordneten Steinen. In vielen Fällen gründen Kandidaten nur für ihren Wahlkampf sogar eigene Radio- oder Fernsehsender – interessanterweise häufig ohne Erfolg. Ist die Wahl gelaufen, wird der Sender dann weiterverkauft. Manchmal gehen Medienunternehmen auf Parteien zu, um „Komplettpakete“ zu verkaufen, die neben den normalen Werbeplätzen auch wohlwollende Interviews, sowie die Diffamierung von Gegenkandidatinnen und -kandidaten enthalten.
Daneben gibt es noch andere „Möglichkeiten“. Manche sind auch aus Deutschland bekannt, beispielsweise von der Parteijugend, die für Senioren einen Fahrdienst zum Wahllokal anbietet. Daneben gibt es aber noch weitere, die besonders bei Distriktwahlen häufig zum Einsatz kommen.
Ein Distrikt im Südteil der nordperuanischen Region Amazonas. Der Bürgermeister des Distriktes möchte wiedergewählt werden. Seit der vergangenen Wahl sind einige seiner treuen Wähler in eine nahegelegene Stadt gezogen. Damit müssten sie eigentlich dort wählen, denn sie verfügen am Ort über keinen Wohnsitz mehr. Der Lösungsansatz des Bürgermeisters ist einfach, aber wirksam: Die weggezogenen sicheren Wähler bekommen von der Gemeinde ein kleines Baugrundstück geschenkt, wenn sie sich im Gegenzug wieder in der Gemeinde anmelden. Ob sie dann dort wohnen oder nicht, steht auf einem anderen Blatt.
Aber auch der Gegenkandidat schläft nicht. Verliert ein Einwohner seinen Personalausweis oder läuft dieser ab, ist er sofort zur Stelle. Ein neuer Personalausweis bei Verlußt oder Diebstahl kostet 22 Nuevos Soles – für den Kandidaten ein Taschengeld für eine wahrscheinliche Stimme. Liegt die wahlberechtigte Bevölkerung unter 800 Personen, könnte diese Stimme die entscheidende sein.
Und so melden sich oft Familienmitglieder oder Freunde von Kandidaten kurz vor der Wahl noch um, dass dafür sogar ein eigener Begriff und ein eigener Strafbestand eingeführt wurde: Voto Golondrino, Schwalben-Wählerstimme.
Trotz allem: Der ganze „Einfallsreichtum“ der Kandidaten und Parteien kann auch nach hinten losgehen. Denn in Peru ist die Wahl geheim. Keiner kann später nachprüfen, ob die mit Geschenken bedachten Wähler das Kreuz bei der Wahl an der „richtigen“ Stelle gemacht haben. In besagtem Distrikt im südlichen Teil der Region Amazonas gibt es garantiert zahlreiche Personen, die dank des Wahlkampfes nun einen neuen Personalausweis und gleichzeitig ein neues Baugrundstück besitzen.
1 comment for “Wie kommt der Kandidat zur Partei (und umgekehrt)? Peruanische Vorwahlgeschichten I”