„Ich war ein guter Staatsbürger bevor ich in die Politik eintrat“, so Ollanta Humala vor einigen Jahren in einem Interview auf Vorhaltungen, dass er als Kommandant einer im „schmutzigen Krieg“ gegen den Sendero Luminoso eingesetzten Militäreinheit im Jahr 1992 Menschenrechtsverletzungen begangen habe. Obwohl die staatsanwaltlichen Untersuchungen gegen ihn mangels Beweises längst eingestellt wurden, wird Humala dies in den Medien wie schon während der 2006er Wahlkampagne auch im derzeitigen Wahlkampf wieder vorgehalten.
Genauso wenig sehen sie Humala seine damalige politische Liaison mit Hugo Chávez nach, die ihm in der Stichwahl vor fünf Jahren die Niederlage gegen Alan García eintrug. Sie wird vielmehr als Beleg für seine diktatorischen Ambitionen angeführt. Seine wiederholten Distanzierungen von Hugo Chávez nimmt man ihm nicht ab. Für Perus mehrheitlich konservative bis rechte Medienlandschaft ist die Sache völlig klar: Humala war weder ein „guter Staatsbürger“, noch sehen sie in ihm einen demokratisch gesinnten Politiker.
Dass dieses mediale Dauerfeuer gegen ihn bei Humala Spuren hinterlassen hat, offenbarte sich bei seiner TV-Debatte mit Keiko Fujimori. Man merkte ihm an, dass er unter Druck steht. Er versuchte zwar, ruhig zu argumentieren und staatsmännisch zu wirken, konnte aber seine innere Anspannung nicht verbergen. Immerhin, hat er eine ganz wichtige Aussage klar und deutlich gemacht: Sollte er gewählt werden, wird er „fünf Jahre Präsident sein, aber keine Minute länger!“ Eine Botschaft an alle, die ihm unterstellen, er wolle sich mittels einer Verfassungsänderung künftig fortlaufend wiederwählen lassen!
Dagegen hinterließ Keiko Fujimori in der Debatte einen selbstsicheren Eindruck. Humalas Vorhaltungen hinsichtlich der Menschenrechtsverletzungen und Korruption während des diktatorischen Regimes ihres Vaters in den 90er Jahren konterte sie kühl. Sie sei die Kandidatin und nicht Alberto Fujimori. Wenn Humala mit Alberto Fujimori debattieren wolle, soll er es doch mit ihm machen! Eine erstaunliche Chuzpe, wenn man bedenkt, dass sie doch sonst keine Gelegenheit auslässt, das Regime ihres Vaters als „die beste Regierung, die Peru hatte“ zu bezeichnen.
Angesichts der für sie günstigen Umfrageergebnisse, die ihr einen knappen Vorsprung vor Humala zubilligen, kann Keiko Fujimori auch Selbstbewusstsein demonstrieren. Rechnen kann sie vor allem mit den Stimmen der Frauen, aber auch der jüngeren Wähler, die offenbar fürchten, unter einem linksnationalistischen Präsidenten Humala in Perú keine iPhones und Luis-Vuitton-Taschen mehr kaufen zu können. Und neben den allermeisten Medien hat sie auch die einhellige Unterstützung der Geschäftswelt, die in Humalas Umverteilungsplänen zu Gunsten der chronisch vernachlässigten Hochlandbewohner Sozialismus wittern.
Aber nicht nur Medien und Geschäftswelt machen massiv mobil für Keiko Fujimori. Nun wird sie sogar vom einsitzenden Vladomiro Montesinos, dem einstigen berüchtigten Geheimdienstchef ihres Vater, öffentlich unterstützt. In einer den Fujimoristas nahestehenden Zeitung hat er behauptet, dass er in Wirklichkeit hinter dem Putschversuch Humalas im Jahr 2000 gegen die Diktatur Fujimori gestanden habe, und außerdem mit dessen Hilfe in Venezuela untertauchen konnte. Wie zu seinen besten Zeiten als Fujimoris rechte Hand versucht er mit den Mitteln klassisch geheimdienstlicher Desinformationskampagnen Humala zu diskreditieren. Ausgerechnet der Mann, der von seinen Todesschwadronen seinerzeit missliebige Personen beseitigen ließ und dem peruanischen Staat Milliarden Dollar gestohlen hat, will so der Tochter seines früheren Chefs zum Wahlsieg verhelfen, um dann von der Präsidentin Keiko Fujimori zusammen mit ihrem Vater zum Dank begnadigt zu werden. Wie die Umfragen zeigen, könnte dieses perfide Spiel am Ende sogar Erfolg haben.
Damit Perú nicht wieder – wie zwischen 1990 und 2000 – in die Hände von Fujimoris Politmafia fällt, hat nicht nur Perus Literaturnobelpreisträger Vargas Llosa, sondern nunmehr auch Ex-Präsident Toledo öffentlich seine Unterstützung für Humala erklärt. Insbesondere Toledos später, aber möglicherweise nicht zu später Aufruf, den er mit dem deutlichen Hinweis versehen hat, in der anstehenden Wahl Demokratie, Freiheit und Menschenrechte zu verteidigen, könnte der laufenden Wahlschlacht quasi auf der Zielgeraden doch noch die entscheidende Wende zu Gunsten von Humala geben.
Denn trotz seiner enttäuschenden Präsidentschaft ist Toledo bei den Peruanern wegen seiner Herkunft als Abkömmling bettelarmer Hochlandindios immer noch populär und hat wegen seiner Führungsrolle während der Opposition gegen Fujimoris Diktatur auch noch eine gewisse Autorität. Keiko Fujimoris ärgerliche öffentliche Reaktion auf Toledos Outing pro Humala ist daher nur verständlich. In jedem Fall steht Perú am kommenden Sonntag ein dramatischer politischer Showdown bevor.
James Siever (München) ist Peru-Kenner und Autor des Buches „Alan Garcia. Der Schuldenrebell“, erschienen in Deutschland beim Verlag Monsenstein & Vannerdat.
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