Ein obskures Bündnis von opportunistischen Oppositionspolitikern, Schwarzmarkthändlern und enttäuschten Busunternehmern schaffte Ende letzten Jahres in der peruanischen Hauptstadt Lima die Sensation: Sie sammelten 400.000 gültige Unterschriften und leiteten damit ein Referendum über den Verbleib von Hauptstadtbürgermeisterin Susana Villarán ein.
Seit den ersten Januartagen läuft nun der Wahlkampf – und die Abwahl-Initiatoren sind sich nicht zu Schade für unbelegte Behauptungen, Lügen und Halbwahrheiten, um die Bürgermeisterin am 17. März aus dem Amt zu jagen. Villaráns Anhängerinnen und Anhänger aber ebenfalls nicht, obwohl sie nicht müde werden, die Politik der Bürgermeisterin als eine der „sauberen Händen“ zu präsentieren. Unterstützt wird Villarán, deren Abwahl nach aktuellen Umfragen recht wahrscheinlich ist, derweil sogar von politischen Gegnern. Und von einem brasilianischen Spin-Doktor, der sich Luis Favre nennt und vor der Präsidentschaftswahl 2011 als Kommunikationsberater daran mitwirkte, die Stimmung zu Gunsten des heutigen Präsidenten Ollanta Humala zu drehen.
Abwahl-Initiatoren werfen Villarán „Ineffizienz“ vor
Bevor in Peru Unterschriften für ein Abwahlreferendum gesammelt werden dürfen, muss zunächst ein Grund dafür angegeben werden. Der Vorteil für die Initiatoren: Dieser Grund muss nicht belegt sein. So lautet der Vorwurf gegenüber der Bürgermeisterin schlichtweg: Ineffizienz. Das stimmt zwar nicht, zeigt die Stadtverwaltung seit dem Amtsantritt Villaráns doch wesentlich bessere Haushaltsumsetzungswerte als zu Zeiten ihres Vorgängers, des möglichen Abwahl-Nutznießers Luis Castañeda. Aber der Vorwurf gab einerseits ein Gefühl in manchen Stadtteilen wieder, setzte Villarán doch zu Beginn sehr auf Bürgerbeteiligung, was ihr von kritisch gesinnten Kommentatoren als „reden statt arbeiten“ ausgelegt wurde. Andererseits blieb den politischen Gegnern Raum, während des Wahlkampfes noch weitere Gründe zu finden. Die APRA-Partei des früheren Präsidenten Alan García, selbst in Peru ein (dennoch immer wieder gewählter) Inbegriff der Korruption, wirft der amtierenden Bürgermeisterin -ebenfalls ohne Belege- zudem vor, die Stadtverwaltung in Sachen Korruption nicht im Griff zu haben: Es gebe „Indizien für Korruption“, erklärte der APRA-Kongressabgeordnete Mauricio Mulder vor wenigen Tagen gegenüber der Presse.
Stadtverwaltung schlägt zurück
Seit Anfang dieser Woche kämpfen offenbar auch die Anhänger der Bürgermeisterin mit solchen Mitteln. Die Stadtverwaltung selbst wies darauf hin, dass nach einem offenbar sorgfältig geplanten Brandanschlag auf einen erst kürzlich eingeweihten städtischen Kinderspielplatz ganz in der Nähe Graffiti entdeckt wurden, die zur Abwahl Villaráns aufriefen. Eher unwahrscheinlich, dass Abwahl-Initiator Marco Tulio Gutierrez den Brandanschlag verüben ließ, er ließ es sogar ausdrücklich dementieren. Aber ein gefundenes Fressen für das Rathaus. Dabei liefert eigentlich die Abwahl-Kampagne selbst schon genug Stoff, um schlecht von ihr zu sprechen. Reporter der Tageszeitung „El Comercio“ versuchten am Montag, mit Hilfe einer offiziellen Liste die größten Spender der Kampagne aufzuspüren – von denen einige sehr erstaunt darüber waren, darauf zu stehen.
Im Gegensatz zu ihren Widersachern, die in Sachen Schmutzkampagne aus dem vollen schöpfen, sind der Bürgermeisterin allerdings enge Grenzen gesetzt. Denn: Wahlkampf aus dem Amt heraus ist in Peru nicht nur sehr unpopulär, sondern meist auch verboten; nach einer umstrittenen Entscheidung des peruanischen Wahltribunals selbst dann, wenn es um ein Abwahlreferendum geht. Wollen sich Bürgermeisterinnen oder Regionalpräsidenten für die Wiederwahl aufstellen lassen, müssen sie Monate vor der Wahl zurücktreten. Tun sie das nicht, sehen sich dem Vorwurf ausgesetzt, ihren Wahlkampf mit Steuergeldern zu finanzieren. Das Sonderwahltribunal für das Referendum rief die Bürgermeisterin schon mehrfach zur Ordnung. Diese erklärte inzwischen, auf jegliche Aussagen zum Thema zu verzichten und zeigt sich stattdessen mit Stars und Sternchen bei der Einweihung städtischer Infrastrukturprojekte.
Nicht nur Villarán: 39 Stadträten droht die Abwahl
Susana Villarán ist dabei nicht die einzige, die sich dem Abwahlreferendum stellen muss. Auch die Namen von 39 Stadträten werden auf den Stimmzetteln stehen, darunter die von 18 Oppositionspolitikern. Spricht sich eine Mehrheit für die Abwahl von mindestens 14 Stadträten (einem Drittel der Ratsmitglieder) aus, würden Neuwahlen angesetzt. Übergangsweise würde wohl der erste Nachrücker von Villaráns inzwischen aufgelöster „Fuerza Social“-Partei das Amt übernehmen – ein Politik-Neuling, ohne große Erfahrung. Dafür müsste Abwahl-Initiator Marco Tulio Gutierrez aber ausreichend Wählerinnen und Wähler mobilisieren. Für eine erfolgreiche Abwahl müssen mindestens 50% aller Wahlberechtigten zur Stimmabgabe gehen. Wie wahrscheinlich es ist, dass dieses Quorum überhaupt erreicht wird, ist bislang nicht abzusehen, herrscht in Peru bei Referenden -im Gegensatz zu einer Wahl- doch keine Teilnahmepflicht. Auch ist nicht abzusehen, wie sich der Wahlzettel auswirkt, auf dem insgesamt 40 Kreuze gemacht werden können, für jede Person besteht die Wahl zwischen „Sí“ (Abwahl) „No“ (keine Abwahl) – und natürlich die einer ungültigen Stimme.
Villaráns Fehler
Auch viele derjenigen, die den Verbleib Villaráns im Rathaus eigentlich unterstützen, tun dies nicht ohne Kritik. So sprach sich die bei der Bürgermeisterwahl Ende 2011 nur knapp gegen Villarán unterlegene Lourdes Flores Nano zwar gegen die Abwahl aus, sparte aber nicht mit Kritik an der bisherigen Amtsführung. Und da gibt es durchaus Dinge zu bemängeln: Ihrem Team gelang es bislang nicht, die im Wahlkampf versprochene Bürgerbeteiligung praktisch so umzusetzen, dass Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit dem Gefühl zurück bleiben, etwas erreicht zu haben. Auch der zu Beginn als positiv bewertete Rückbau bei der Öffentlichkeitsarbeit stellte sich in mehreren Krisensituationen als Problem heraus – beispielsweise bei den schweren Zusammenstößen bei der Räumung des La Parada-Großmarktes und dem Wassereinbruch in der Baustelle des „Vía Parque Rimac“-Projektes, in dessen Rahmen der Fluss Rimac untertunnelt wird. In beiden Fällen dauerte es mehrere Tage, bis die Stadt reagierte um klar zu machen, dass die Stadtverwaltung nur einen Teil der Verantwortung traf. Auch unterliefen der Stadt Planungsfehler, beispielsweise bei der Neugestaltung eines Strandbades und den Tarifen des Schnellbussystems „Metropolitano“. Alles Probleme, die, wie in Peru üblich, auch dann auf die Bürgermeisterin zurück fallen, wenn diese selbst keinerlei Kenntnis von den Arbeiten hatte.
Reformversuche und Zufälle
Auf der „Haben“-Seite steht dagegen Villaráns Mut, seit Jahrzehnten aufgeschobene Reformen anzugehen, die vor allem wegen ihrer enormen Wichtigkeit auch Gegner auf den Plan riefen: Die Neuordnung des öffentlichen Personennahverkehrs zu Lasten des bislang fast völlig unregulierten, informellen und teils mafiös organisierten „Combi“-Kleinbussystems, das Routen zu Gunsten des „Metropolitano“ aufgeben musste, der Umzug des „La Parada“-Großmarktes und die Entmachtung der Seilschaften von Ex-Bürgermeister Luis Castañeda Lossio. Diese Gegner sind es, die seit dem Amtsantritt Villaráns am 1. Januar 2011 ihre Abwahl vorantreiben. Dabei hatte vor ihrer Wahl Ende 2010 niemand die Kandidatin Villarán auf dem Schirm. Es sah so aus, als ob das Rennen zwischen PPC-Dauerkandidatin Lourdes Flores und Callaos Ex-Bürgermeister Alex Kouri ausgemacht werden würde. Als letzterer plötzlich vom zuständigen Wahltribunal disqualifiziert wurde, tauchte die heutige Bürgermeisterin wie aus dem nichts als Überraschungskandidatin auf.
Sollte es Villarán und ihrem Team nicht mehr gelingen, auf mehr oder weniger sauberem Wege, die Stimmung zu drehen, wird es ihr ergehen wie Valentín Paniagua, der 2000 nach dem Sturz der Fujimori-Diktatur übergangsweise das Präsidentenamt übernahm: Die Wahl war eher dem Zufall geschuldet, während der kurzen Amtzeit wurden wichtige Reformen eingeleitet – und dennoch, oder vielleicht eher deshalb, schaffte er es nicht, trotz Kandidatur weiter im Amt zu bleiben.
So verwundert es auch nicht, dass selbst Parteien, die das Abwahlreferendum ablehnen, bereits ihre Kandidaten für eine mögliche Neuwahl nominieren.