Kurz vor Ende der Auszählung der abgegebenen Stimmen lässt sich ein erstes Fazit des Abwahlreferendums am vergangenen Sonntag in der peruanischen Hauptstadt Lima ziehen. 40 Personen, die Bürgermeisterin und 39 Stadträtinnen und Stadträte standen auf den Abstimmungszetteln, zumindest Bürgermeisterin Susana Villarán selbst kann mit einem Erfolg rechnen – und bleibt vorausichtlich im Amt. Doch wie hinterlässt das Referendum Parteien, Institutionen und Personen? Ein Überblick.
SUSANA VILLARÁN – Darauf, dass die Bürgermeisterin ihr Amt behalten kann, hätte vor einem Monat wohl noch niemand gewettet. Zu groß schien in den Umfragen der Abstand zwischen den Optionen „Si“ – für die Abwahl – und „No“. Sie hat gezeigt, dass sie erfolgreich ums politische Überleben kämpfen – und gewinnen kann. Einen Antritt zur Wiederwahl hat Villarán öffentlich ausgeschlossen – ob ihr dies die Bürgerinnen und Bürger Limas abkaufen, steht auf einem anderen Blatt. Sollte sie ihre Amtszeit aber mit Unterstützung der bislang oppositionellen christlichen Volkspartei (PPC) erfolgreich zu Ende führen, wären weitere politische Ämter (Kongress, Ministerium oder gar Präsidentschaft) durchaus im Rahmen des möglichen.
Das von Susana Villarán gepflegte Image der „sauberen Hände“ wurde allerdings nicht nur durch die Angriffe des politischen Gegners, sondern auch durch manche Mittel ihrer Anhängerinnen und Anhänger dauerhaft beschädigt.Trotz ihres überraschenden Sieges muss Villarán bei Reformvorhaben in Zukunft wohl große Kompromisse eingehen, da es sehr unwahrscheinlich ist, dass die Fraktion ihrer Partei bei der Wahl zur Besetzung der abgewählten Stadträtinnen und -räte viele Sitze erreichen wird. Sie muss also mit den bisherigen politischen Gegnern zusammen arbeiten, wenn sie überhaupt noch etwas schaffen möchte. Das wird nicht einfach, da Lima – und da liegt noch eine weitere Herkulesaufgabe – durch die Kampagnen der vergangenen Monate politisch gespalten wurde.
LUIS CASTAÑEDA – Bis zum Schluss betonte Limas vormaliger Bürgermeister, nichts mit dem Abwahl-Prozess zu tun gehabt zu haben, bis zum Schluss glaubte es keiner. Der Verbleib Villaráns im Rathaus wird Castañeda zweifelsohne als Niederlage angerechnet werden – die Zweite in Folge, nach seinem Scheitern bei der Präsidentschaftswahl 2011. Für die Unterstützer von Susana Villarán war der Abwahlprozess zudem ein Anlass, in Castañedas Vergangenheit nach Ungereimtheiten zu suchen – und zu finden. So bot der weiter schwelende Skandal um eine Scheinfirma (Comunicore), deren einziger Zweck die Veruntreuung städtischer Mittel gewesen sein soll, Castañedas Gegnern reichlich Angriffsfläche für Kritik. Auch schnitt der in der Öffentlichkeit wenig mitteilsame und deshalb als „el mudo“ (dt. „der Stumme“) bekannte frühere Bürgermeister nicht überragend ab, als die ersten zwei Jahre seiner Amtszeit mit denen von Susana Villarán verglichen wurden. Seltsam war auch das Verhältnis zu seinem Sohn, der für die PPC im Stadtrat saß – und nun abgewählt wurde. Die Episode zeigte vor allem, dass Castañeda jr. vor allem als „Sohn seines Vaters“ im Rat saß und dieser bereit war, die politische Karriere seines Sohnes für die eigenen Ambitionen zu opfern.
Fuerza Social (FS) – Die Gruppierung stellt zwar weiter die Bürgermeisterin, ist aber stark geschwächt. Nach ihrer erfolglosen Teilnahme an der Kongresswahl 2011 verlor sie den Status einer Partei – nachdem ihre Kandidatinnen und Kandidaten bereits bei Regionalwahlen im Jahr zuvor Federn hatte lassen müssen. Nun werden die Hoffnungsträger von Fuerza Social, allen voran Vizebürgermeister Eduardo Zegarra, bis zur Neuwahl durch Mitglieder aus der dritten und vierten Reihe ersetzt – in vielen Fällen Mitglieder anderer Parteien, die von „Fuerza Social“ eingeladen worden waren. Bei der Neuwahl wird Fuerza Social wohl auch die meisten dieser Mandate verlieren, vielleicht sogar alle, wenn es nicht gelingt, über den Weg einer befreundeten Partei erfolgreich Kandidatinnen und Kandidaten zu platzieren. Ganz am Ende ist „Fuerza Social“ derweil nicht: Zahlreiche Führungspersönlichkeiten der Gruppierung haben demnächst viel Zeit – und in ihrer zweijährigen Amtszeit und dem Abwahlprozess politische Erfahrung sammeln können. Für die weitere Eigenständigkeit müsste Fuerza Social schon bald damit beginnen, Unterschriften für eine Neuregistrierung als Partei zu sammeln. Möglicherweise integriert sich Fuerza Social auch in die Partei des Bergbaukritikers und suspendierten Priesters Marco Arana, Tierra y Dignidad. Während der Anti-Abwahlkampagne stand die Partei an vorderster Front an Villaráns Seite.
Partido Popular Cristiano (PPC) – Wohl kaum einer hat in den vergangenen Monaten so viel gewonnen wie die Partei von Dauerkandidatin Lourdes Flores Nano. Flores Nano, bei der Kommunalwahl 2010 Villaráns aussichtsreichste Gegenkandidatin, hat der Bürgermeisterin wiederholt öffentlich den Rücken gestärkt. Die PPC, eine der „stabilsten“ peruanischen Parteien, aber mit kaum Einfluss außerhalb der Hauptstadt, war schon immer gegen die Möglichkeit, Amts- und Mandatsträger vorzeitig abberufen zu können. Obwohl traditionell als Partei der Reichen und Wirtschaft verschmäht, verteidigte die PPC im Stadtrat Villarán nicht nur wegen ihrem Misstrauen gegenüber Abwahlverfahren, sondern stellte sich auch politisch hinter die gemäßigt linke Susana Villarán. Das hat für die Stellung der PPC wichtige Folgen: Villarán, die über keine eigene Mehrheit mehr verfügt, ist von der Partei abhängig, wenn sie im Rat etwas erreichen möchte. Zudem wird der Bürgermeisterin nichts anderes übrig bleiben, als wichtige Verwaltungsposten mit PPC-Sympatisantinnen und -Sympathisanten zu besetzen. Zudem kann sich die PPC als die staatstragende Partei gerieren, die Lima vor der Unregierbarkeit gerettet hat. Für Lourdes Flores Nano war die Abstimmung übrigens die erste, die sie gewann: Vor der Bürgermeisterwahl 2010 war sie bereits mehrfach bei dem Versuch gescheitert, Präsidentin zu werden.
Die peruanischen Wahlbehörden – Die Wahlbehörde ONPE und das Wahltribunal JNE haben, ebenso wie das Personenstandsregister RENIEC im Verlauf des Abwahlreferendums keine gute Figur abgegeben. Termine wurden nicht koordiniert, Entscheidungen angefochten – und das Wahltribunal kam mehr als einmal in den Verdacht, eine der Optionen zu bevorzugen. Dass nun die Auszählung der Stimmen wieder weit länger dauert, als eigentlich geplant, war nach den vergangenen Wahlen zu erwarten. Sie stärken aber nicht das Vertrauen in das Abstimmungsergebnis. Der illegal mitgeschnitte Kommentar eines Abwahl-Befürworters, die eigenen Wahlbeobachter sollten bei der Stimmenauszählung noch „4% herausholen“, setzte dem ganzen nur noch die Krone auf.
Lima – Die peruanische Hauptstadt profitierte von dem Abwahlreferendum zumindest in sofern, dass zahlreiche Altlasten -Stichwort „Comunicore“- aufgearbeitet wurden. Zudem muss Villarán nun breitere Bündnisse schmieden. Auch wurden im Zusammenhang mit den Kampagnen viele wichtige Themen auf die Tagesordnung gebracht. So gab es intensive Diskussionen über Alltagsrassismus, Geschlechterverhältnisse und die sozialen Folgen unilateraler Entscheidungen. Auch wurden Politik und Verwaltung in vielen Bereichen zum Handeln gezwungen. Zudem zwang das Referendum die Beteiligten dazu, in der Kommunalpolitik für mehr Transparenz zu sorgen – was eben auch ein gewisses Ausmaß an Öffentlichkeitsarbeit erfordert. Die Verluste waren aber größer: Das Referendum hat die Stadt zumindest im Blick auf die Kommunalpolitik gespalten, dies umzukehren wird keine einfache Aufgabe. Auch wurden auf den Druck hin viele Themen angepackt – der Wahlkampf band aber einen Großteil der Kräfte, die sonst für eine bessere Arbeit der Kommune aufgewendet hätten werden können. Zudem kommt Lima aus dem Wahlkampf nicht mehr heraus. Haben sich die nachrückenden Fuerza Social-Stadträtinnen und Stadträte eingearbeitet, steht bereits die nächste Wahl an, vor der sicherlich mit ähnlich harten Bandagen gekämpft werden wird.
APRA – Zu Beginn nicht dabei, übernahm die Partei des zweimaligen peruanischen Präsidenten Alan García gegen Ende eine Führungsrolle in der Abwahlkampagne. García selbst erhoffte sich offenbar einen Erfolg des Referendums, der möglicherweise zur erneuten Wahl von Luis Castañeda geführt hätte. Ein möglicher Kontrahent bei der Präsidentschaftswahl 2016 wäre für ihn damit aus dem Rennen gewesen. Nun kann Castañeda zwar nicht sofort Bürgermeister werden, ist aber in der Öffentlichkeit beschädigt – für die APRA ein ähnliches Ergebnis. Mit der ausbleibenden Abwahl Villaráns erlitt die APRA zwar die zweite Wahlniederlage in Lima in Folge, konnte die Kampagne aber zur Reaktivierung ihrer lange vernachlässigten Basis nutzen – und einige Personen bekannt machen, die als Kandidatinnen und Kandidaten für die Neuwahl in Stellung gebracht werden können.
Die Presse – Die politischen Kommentatoren der größten Medienkonzerne warfen sich mit voller Kraft für eine der beiden Optionen ins Rennen. Das ist für Kommentatoren in Peru nicht ungewöhnlich. Sie ließen sich aber wiederholt als Handlanger der beiden Lager instrumentalisieren und schreckten auch von unlauteren Methoden nicht zurück. Zudem blieben über Monate hinweg andere wichtige Themen auf der Strecke: Die Verabschiedung strengerer Umweltauflagen für Industriezweige wie den Bergbau oder die Fischerei, die Reform des Wahl- und Abwahlrechts, sowie anwachsende Probleme mit der inneren Sicherheit. Die veröffentlichten, von Umfrageinstituten erhobenen Tendenzen bestätigten sich aber -trotz aller Unterschiede und Schwankungen- am Ende.
Peru – Das Land als Ganzes hat von den Konflikten rund um das Referendum sicher nicht profitiert, wurden doch selbst Politiker anderer Regionen und Städte genötigt, sich mit dem Thema zu befassen. Ein Referendum, das Peru als Ganzes kaum betraf, zog alle Aufmerksamkeit auf sich – während zahlreiche Ortschaften im Hochland und in den Regenwaldregionen im wahrsten Sinne des Wortes untergingen. Dennoch hatte der ganze Abwahl-Zirkuns ein Gutes: Absurde und/oder schlecht gemachte Gesetze und Regelungen werden in Peru häufig erst wahrgenommen, wenn sie die Hauptstadt Lima betreffen. Das ist nun geschehen. Eine Novellierung des Abwahl-Gesetzesrahmens erscheint heute wahrscheinlicher denn je. Der massenhafte Missbrauch einer eigentlich für extreme Ausnahmen gedachten Form direkter Demokratie in hunderten peruanischen Kleinstädten und Dörfern hatte bis heute -leider- zu keiner entsprechenden Debatte geführt.
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